Vertrauen und positive Verstärkung
Die Geschichte der Dressur beginnt mit der Domestizierung von Tieren. Als frühester tierischer Begleiter der Menschen gilt der Hund und im Grunde beginnt die Geschichte der Dressur daher mit der Domestizierung von Wölfen, die sich bereits in der Steinzeit dem Menschen angeschlossen haben. Pferde, die in der Steinzeit noch bloße Beutetiere der Jäger waren, wurden viel später, erst 3500 v. Chr., domestiziert. Etwa zur selben Zeit begannen asiatische Könige mit dem Abrichten von Elefanten. Diese wurden als Arbeitstiere und Kriegsgerät eingesetzt. Vorführungen mit Wildtieren machten schließlich die Römer in den letzten vorchristlichen Jahrzehnten bekannt. In den riesigen Circusbauten wurden dem Publikum nicht nur Raubkatzen, sondern auch Krokodile und sogar Rhinozerosse als exotische Sensationen präsentiert. Manchmal fanden in den ellipsenförmigen Bauten sogar Kämpfe zwischen Gladiatoren und Tieren statt. Diese Art der Tiervorführung ist freilich längst Geschichte. Und so teilt der neuzeitliche Circus mit dem antiken, außer der runden Form und dem daraus abgeleiteten Namen nichts mehr.
Als Vorläufer des heutigen Circus gelten, neben dem Pferdetheater Philip Astleys, die Menagerien. Diese reisenden Tierschauen kamen im 16. Jahrhundert in Mode und stellten exotische Tiere zur Schau. Vereinzelt gab es auch Vorführungen der Tiere, die sich aber oftmals darin beschränkten, die Tiere in ihrem Transportwagen von der einen zur anderen Seite zu hetzen. Dressur war damals noch oft mit brachialer Einschüchterung gleichzusetzen. Das änderte sich im 19. Jahrhundert grundlegend, als die Brüder Carl und Wilhelm Hagenbeck, die Besitzer des gleichnamigen Tierparks, die Methode der „Humanen Tierdressur“ entwickelten. Dafür analysierten sie in ihrem Hamburger Tierpark zunächst die Verhaltensmuster von Raubtieren, um dann diese theoretischen Erkenntnisse über tierisches Verhalten mit ersten Dressurnummern in die Praxis umzusetzen. Auch die Mitglieder des Berufsverband der Tierlehrer haben sich dieser gewaltfreien und verständnisvollen Methode der Tierausbildung, die auf der Nutzung der artgegebenen und individuellen Anlagen der Tiere basiert, verschrieben. Nicht Zwang, sondern Vertrauen, Lob und vor allem Leckereien ermöglichen es den Tierlehrern heute, dem Publikum Dressurdarbietungen zu zeigen, in denen das Tier und die Schönheit und Eleganz seiner Bewegung im Mittelpunkt steht.
Der eigentlichen Dressur geht dabei eine ausgiebige Phase des Kennenlernens voraus, um die jungen Tiere, die aus Tierparks, Zoos oder aus Nachzuchten anderer Circus-Unternehmen stammen, an den Kontakt mit Menschen zu gewöhnen und eine angst- und stressfreie Vertrauensbasis zu schaffen. Erst dann folgen behutsame „Gehversuche“ in der Manege. Kurze, zwanglose Aufenthalte im Circuszelt, die dem Jungtier die Gewissheit vermitteln: „Hier passiert mir nichts“. Wenn auch diese neue Umgebung erkundet und akzeptiert ist, kann der Tierlehrer mit der eigentlichen Dressur beginnen. Aufbauend auf dem Prinzip der positiven Verstärkung arbeitet der Tierlehrer hierbei überwiegend mit Belohnungen. Auf jede richtige Reaktion erfolgt eine Belohnung. Bei einer falschen Reaktion bleibt die Belohnung aus. Die Belohnung kann dabei sowohl aus einem „Leckerli“ als auch aus einem lobenden Wort wie „brav“ bestehen. Folglich beschreibt auch der Verhaltensforscher Thomas Althaus die moderne Tierdressur als einen „an Behutsamkeit und Einfühlungsvermögen kaum zu überbietender Lehr- und Lernprozess, in dessen Verlauf bei den vierbeinigen Zöglingen anfängliche Unsicherheit und Hemmungen allmählich abgebaut werden und durch innere Sicherheit und vollstes Vertrauen in die Umgebung, den Partner und die Leistung ersetzt werden.“
Am Anfang der Ausbildung von Tieren steht das sogenannte „ABC“. Das Jungtier wird mit den Grundkenntnissen der Dressur vertraut gemacht. Der tierische Schüler erlernt zunächst den „Appell“. Das heißt, auf Zuruf zum Dresseur zu kommen und anschließend wieder in die Ausgangsposition, auf den „Platz“, zurückzugehen. Bei Pferden, Zebras oder Kamelen stellt der äußere Manegenrand die Ausgangsposition dar, bei anderen Tieren, etwa Raubkatzen, ist das „Postament“, eine erhöhte Sitzgelegenheit, der „Platz“. Um sich seinem Schüler verständlich zu machen, bedient sich der Tierlehrer verschiedener Hilfsmittel. Dazu zählen die Chambrière (Peitsche) und der Zeigestab. Beide erfüllen die Funktion des „verlängerten Arms“ des Dresseurs, vergleichbar mit dem Taktstock eines Dirigenten. Mit dem Zeigestab signalisiert der Tierlehrer beispielsweise dem Tier, dass es dort bleiben soll, wo es gerade ist, dass es das Tempo drosseln oder stehen bleiben soll. Die Chambrière hingegen ermöglicht dem Dresseur, von der Manegenmitte aus die Tiere durchTouchieren zu ermahnen und zur Aufmerksamkeit zu rufen. Zusätzlich unterstreicht der Tierlehrer sein Kommando akustisch durch seine Sprache. So gehört zum Drehen um die eigene Achse das Kommando: „Valse“ (franz.: Walzer).
Die Tricks, die die Tiere schließlich in der Manege zeigen, basieren ausschließlich auf arttypischen Verhaltensweisen. So baut der Trick des durch einen Reifen springende Tiger auf dem natürlichen Beutesprung auf. Und das Steigen der Pferde basiert auf dem Imponierverhalten innerhalb der Herde. Und mag auch mancher Trick auf den ersten Blick etwas unnatürlich anmuten, ist es letztlich so wie der Verhaltensforscher Immanuel Birmelin schreibt: „Wildtiere verfügen genau wie Menschen über ein enormes Anpassungspotenzial. Auch wenn im Circus gezeigte Fähigkeiten unter den üblichen Bedingungen der Wildnis nicht abgefordert werden – zur Natur der Tiere gehören sie alle mal.“ Und weiter: „Tiere, die durch Dressur geistig angeregt und gefordert werden, weisen bessere Lern- und Denkleistungen auf, als ihre wild lebenden Artgenossen“. Birmelin bestätigt damit die Ergebnisse von Professor Heini Hediger, dem Begründer der modernen Tiergartenbiologie, der bereits vor über 50 Jahren feststellte, dass tiergerechte Dressur für Tiere, die ihn Obhut des Menschen leben, „gesund“ ist.
Hier sehen Sie, dass die Ausbildung der Tiere ausschließlich auf den natürlichen Verhaltensweisen der Tiere aufgebaut ist. Im Vergleich Circus und die freie Wildbahn.