Nordrhein-Westfalen hat den Zirkus in das Landesinventar des Immateriellen Kulturerbes aufgenommen.
Überreicht wurde die Auszeichnung am 24.11.2022 in Düsseldorf von Frau Gonca Türkeli-Dehnert, Staatssekretärin im Ministerium Kultur und Wissenschaft des Landes NRW. Die Laudatio hielt Frau Dr. Corinna Franz, Dezernentin für Kultur und Landschaftliche Kulturpflege beim Landschaftsverband Rheinland und Mitglied der Jury für das Immaterielle Kulturerbe. Darin stellte sie u.a. fest: „Wandel und Veränderung gehören zur Tradition der Zirkuskultur dazu. So achtet der moderne Zirkus längst auf den Einklang mit dem Tierwohl.“ Für das Netzwerk der Zirkusverbände gab dann Helmut Grosscurth ein kurzes Statement ab und hatte allen Beteiligten gedankt und auch kurz auf die aktuellen Probleme des Circus von fehlenden Plätzen, über restriktivere Werbemöglichkeiten bis hin zur GEMA-Tarifänderung hingewiesen.
Die gemeinsamen Bemühungen aller Circusverbände unter Federführung der ECA haben sich also gelohnt! H. Grosscurth und Dr. Burow haben alles gesammelt, redigiert und die Bewerbung geschrieben.
Außerdem hat das Land Nordrhein-Westfalen den Circus zur Aufnahme in das Bundesweite Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes vorgeschlagen. Dazu wird die Bewerbung nun noch einmal von einem Expertenkomitee bei der Deutschen UNESO-Kommission e.V. geprüft und bewertet. Deren Empfehlungen müssen dann von der Kulturministerkonferenz und der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien bestätigt werden. Eine Entscheidung ist deshalb erst Anfang 2023 zu erwarten.
Hier die Laudatio:
Dr. Corinna Franz, LVR
Auszeichnungsveranstaltung
Landesinventar Immaterielles Kulturerbe NRW 2022,
Haus der Stiftungen, Düsseldorf, 24. November 2022
Laudatio „Zirkus“
Sehr geehrte Frau Staatssekretärin Türkeli-Dehnert,
sehr geehrter Herr Präsident Uhlenberg,
sehr geehrte Vertreterinnen und Vertreter der großen Welt des Zirkus,
sehr geehrten Damen und Herren,
Der Zirkus zaubert mich zurück in die Kindheit. Manchen von Ihnen mag
es ähnlich ergeben. Die Erinnerungen an den kleinen Zirkus, der auf dem
Dorfplatz Station machte, werden wach. Auch der namhafte Zirkus, der
regelmäßig in der nahegelegenen Stadt gastierte, steht mir lebhaft vor
Augen. Denn natürlich gehörte für uns Kinder ein Zirkusbesuch dazu.
Zirkus bedeutet für viele der heute jährlich rund fünf Millionen Gäste aus
sämtlichen Bevölkerungsgruppen und über alle Altersstufen hinweg eine
zauberhafte Auszeit aus dem Alltag: Staunen und Mitfiebern, Lachen und
Träumen, Spannung und Bewunderung bilden eine besondere Mischung
von emotionaler Berührung, die das inklusive Erlebnis Zirkus ausmacht.
Für die Menschen, die in der Manege stehen oder im Hintergrund für
Technik, Beleuchtung oder Musik sorgen, ist der Zirkus mehr als ein
Arbeitsplatz. Artistinnen, Techniker und Tierpflegerinnen sind Teil einer
ganz eigenen Welt, sie bilden eine spezifische Kultur zwischen Kunst,
Theater und Sport. Wissensbestände um den Umgang mit Tieren etwa,
um die Herstellung des richtigen Spannungsbogens oder die Techniken zur
Körperbeherrschung werden innerhalb der Community, von Generation zu
Generation weitergegeben.
Das gemeinsame Reisen in ganz Europa und weit darüber hinaus prägt ein
internationales, integratives Selbstverständnis: Vielfalt von Herkunft und
Sprachen, Offenheit und Miteinander der pluralen Kompetenzen formen
die Identität der Menschen, die Zirkus machen. Nur so funktioniert das
Zusammenleben auf engem Raum der mobilen Wohnungen, in den
Familien, an 24 Stunden und 7 Tagen die Woche.
Diese Haltung erwächst aus einer langen Tradition: Zahlreiche
Kunstformen des Zirkus sind sehr alt: Jonglieren, Artistik, Gaukler und
2
Clownerie waren schon in frühen Hochkulturen Unterhaltungsprogramm
auf Märkten oder an öffentlichen Festen.
Im 18. und 19. Jahrhundert institutionalisiert sich der Zirkus als
besondere, gemeinsame Organisationsform, die in Raum und Zeit
vielfältige Künste zu einer sozialen Einheit bindet. [Ausgehend von
England breitet sich Zirkus in die USA und Europa aus, im frühen
20. Jahrhundert finden sich kleine Familienzirkusse neben europäischen
Großzirkussen. Artistik und andere Disziplinen nehmen im Varieté eine
feste Bühne ein. Doch von Ausnahmen – wie dem Circus-Krone in
München – abgesehen, leben und arbeiten Zirkusse mit hoher Mobilität,
sind mit Zelt und Wagen dauerhaft im Tourneebetrieb unterwegs.]
Wandel und Veränderung gehören zur Tradition der Zirkuskultur dazu. So
achtet der moderne Zirkus längst auf den Einklang mit dem Tierwohl.
Entwickelt haben sich Formen, die mit poetischen Methoden die Nostalgie
vergangener Zeiten wecken, ganze Geschichten erzählen oder einfach
träumen lassen. Ebenso begegnen uns betont bunte und laut-fröhliche
Varianten.
Die Zirkusszene ist lebendig, vielfältig und kreativ; und es gelingt ihr,
immer wieder auf’s Neue die Leidenschaft für diese Kunst- und
Lebensform zu entfachen.
Und doch: Der Zirkus ist gefährdet. So manche Vorschriften und Gesetze
engen die notwendige Freiheit und Flexibilität dieser Kultur ein, die
fehlende Anerkennung als künstlerische Tätigkeit ist nicht nur eine
symbolische Befindlichkeit, sondern hat direkte Auswirkungen auf
Steuerlast und Versicherungen. [Die Corona-Jahre haben der Arbeit des
Zirkus kräftig zugesetzt, die Folgen des Ukraine-Krieges lassen sich noch
gar nicht absehen.]
So hoffen wir, dass die Aufnahme in das Inventar des Immateriellen
Kulturellen Erbes Nordrhein-Westfalens und der Vorschlag, Zirkuskultur
auch als nationales Immaterielles Kulturerbe Deutschlands auszuzeichnen,
dazu beiträgt, Zirkus als besondere Kunstform wahrzunehmen,
wertzuschätzen und in eine gute Zukunft zu führen.
Herzlichen Glückwunsch zu dieser Ehrung!